Aufzeichnungen

Über das Erscheinen einer Lebensform

Bienen leben im Schwarm und haben es geschafft, aus sich heraus in einer selbst erzeugten Wärmesphäre eine Struktur aus körpereigener Substanz zu bilden, die es ihnen ermöglicht, im Gegensatz zu Hummeln, Hornissen und Wespen, als ganzes Volk zu überwintern. Die Waben aus Bienenwachs. Sie haben vielfältige Funktionen: Honig und Blütenstaub wird in ihnen gelagert und konserviert, Brut wird darin gepflegt, Kommunikation über Vibrationen beim Bienentanz und über Duftmarken, Luftaustausch, kühlen und wärmen wird erst dadurch möglich. Grundlage für diese komplexen Vorgänge ist Kommunikation und Kooperation.

In diesem gemeinschaftlichen Gebilde können wir einen eigenen, neuen Organismus erkennen, den Bien. Einzelne Bienen haben da eher Zellfunktion, deren Tätigkeiten und die Waben eher Organfunktion. In dieser Gemeinschaft erscheinen neue, emergente Eigenschaften, welche die einzelnen Bienen so nicht ausbilden können.

Z. B. können Bienen, die wie andere Insekten auch wechselwarm sind, dennoch eine konstante Temperatur  im Bienenvolk halten (ähnlich einer Körpertemperatur), indem die einzelne Biene die Flügel aushängt und die Flugmuskulatur betätigt, wodurch der ganze Brustkorb warm  wird. Dazu braucht sie allerdings eine andere Biene die sie dabei mit Honig füttert, Honig, den andere Bienen vorher schon eingelagert haben. Diese Wärmesphäre ist also nur durch eine ganze Kette an Kooperationen möglich. Grundlegend dafür ist eine empathische Wahrnehmung der Bedürfnisse der anderen bzw. des Ganzen. Verlässt eine Biene alleine den Stock, wenn es draußen kalt ist, kann sie die Wärme selbst nicht erzeugen und erfriert. Ein unglaublich anpassungsfähiges, elastisches Wärmewesen zeigt sich da. 

In dieser eigenen Wärmesphäre gelingt es den Bienen, Wachs aus ihren Wachsdrüsen zu schwitzen, wobei kleine, kristallklare Wachsplättchen auf der Unterseite ihres Hinterleibes erscheinen. Daraus formen sie diese wunderbaren Waben in einer faszinierenden Genauigkeit und Regelmäßigkeit. Ihr Körper ist das Maß dazu. Von oben beginnend wachsen diese Waben senkrecht nach unten. Gleich mehrere, parallel zueinander ausgerichtete Waben bilden ein gesamtes Wabenwerk. Auch sie werden nicht einzeln gebaut, sondern im Ganzen. Sie wachsen gleichsam in die Bienentraube hinein, ähnlich den Knochen im Muskel bei Wirbeltieren. 

Zwischen den Waben bilden sich sogenannte Gassen, in denen Bienen aneinander vorbei laufen können. So ist der gesamte Raum gefüllt mit Bienen, Brut, Honig und Blütenstaub. Alles dicht an dicht, verbunden mit hauchdünnen Wachshäutchen. Damit die einzelnen Bienen im inneren der Traube nicht ersticken, ventilieren sie gezielt verbrauchte Luft nach außen und frische nach innen. Ein solch aktiver Luftaustausch  lässt an Atmung denken. Nur eben nicht mit einer rhythmischen Ein- und Ausatmung, sondern kontinuierlich, ähnlich einer Zellatmung. 

Eine rhythmische Atembewegung lässt sich dagegen eher im Jahreslauf wieder finden. Eine große Ausdehnung im Sommer, die Bienen fliegen übers ganze Land zu den Blüten und erzeugen so einen regelrechten Nektarstrom ins Bienenvolk. Im Winter sitzen sie ganz zusammengezogen in der Wintertraube zwischen den Waben und zehren von der sommerlichen Wärme. 

Auch am einzelnen Tag zeigt sich dieser Rhythmus in der Ausdehnung im hellen Sonnenlicht und die Zusammenziehung und Sammlung in der dunklen Nacht. 

Sehen wir das Wabenwerk mit seinen dichten Waben und den offenen Wabengassen im steten Wechsel, können wir auch hier eine Rhythmisierung des ganzen Raums im Bienenstock erkennen. Diese zeichnen sich auch auf den Tüchern, die in der Bienenhaltung als Abdeckung verwendet werden, in Form von Propolisablagerungen ab und es entstehen so ganz individuelle Aufzeichnungen. Ja, eine eigene Geschichte, Biographie im wahrsten Sinne, wird sichtbar. 

Bienen sind aufs Innigste mit der Landschaft und ihren jahreszeitlichen Wandlungen verbunden, leben von und mit ihr und beseelen sie. So dass wir am besten von ihrer Mitwelt statt von Umwelt sprechen. Trotz ihrer großen Anpassungsfähigkeit sind auch Bienen auf günstige Lebensbedingungen angewiesen. 

So notwendig wie wünschenswert ist es daher, dass wir uns als Kulturschaffende weiterhin einsetzen für einen Umgang in der Landwirtschaft und generell in der Nutzung unserer Ressourcen bzw. unserer Mitwelt, der den Begriff der Kultur wieder verdient. 

Damit auch in Zukunft so zauberhafte Wesen noch erlebbar sein werden.

M. Hilfenhaus
Erlangen, Sept. 2020

               

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